von Erik Klüssendorf-Mediger
Léo (Eden Dambrine, l.), Rémi (Gustav De Waele, r.) und Rémis Mutter Sophie (Émilie Dequenne, M.), © Pandora Film
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Kinder sind sozial komplexe Wesen, die tiefe und bedingungslos vertrauende Beziehungen knüpfen, welche ganz ohne sexuellen Hintergrund über Freundschaft hinausgehen. Aber wie beschreibt man solche Verbindungen? Fragt man ein Kind, dann würde es vermutlich mit einer Leichtigkeit diese als Liebe bezeichnen, während für Erwachsene das Konzept von Liebe andere Assoziationen mit sich bringt. Die Auffassung dieses Gefühls verändert sich maßgeblich im Zuge der Pubertät.
Lukas Dhonts („Girl“) zweiter Film „Close“ richtet seinen Zeigefinger auf die Schwelle zum Erwachsenwerden und zeichnet den präzisen Moment, in dem die ersten Fragen über Sexualität aufkommen und die eigene Stellung in der Gesellschaft sowie die Haltung zur Welt hinterfragt und entwickelt werden.
Die beiden 13-jährigen Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele) haben das, wonach sich viele Menschen sehnen, eine innige Verbundenheit. Sie kennen sich seit Jahren, sind beste Freunde, fast wie Brüder, teilen alles und verbringen jede freie Minute miteinander. Nach einem unzertrennlichen Sommer wird ihre Freundschaft jedoch mit Beginn der weiterführenden Schule auf die Probe gestellt. Ihre Mitschüler und Mitschülerinnen nehmen die Nähe der zwei Jungen argwöhnisch auf. Die unschuldige Frage eines Mädchens, ob die zwei zusammen sind, verändert Léos Sicht auf die Freundschaft. Während Rémi die Blicke und Kommentare auf dem Schulhof nicht weiter beschäftigen, fühlt sich Léo zunehmend unwohl.
Léo und Rémi sind zum ersten Mal mit einem sozialen Umfeld konfrontiert, welches ihre Freundschaft infrage stellt und dem gesellschaftlichen Druck klassischer Geschlechterrollen sowie der Auslegung von Männlichkeit unterwirft. Von den Emotionen überwältig, wissen sie kaum ihr Gefühlschaos zu benennen, sodass die wahren Konflikte im Inneren der beiden Jungen ausgetragen werden. Jede Geste, jeder Blick und jede noch so kleine Bemerkung werden plötzlich zu einer zunehmenden Last, unter der sowohl ihre Freundschaft als auch ihre kindliche Unschuld zu zerbröckeln beginnen. Um einen akzeptierten sozialen Status zu erlangen, umgibt sich Léo mit neuen Freunden. Während er in dem männlich konnotierten Sport Eishockey nach Bestätigung und Ablenkung sucht, muss Rémi mit zunehmendem Unverständnis mitansehen, wie sein bester Freund sich immer weiter von ihm distanziert.
Bei „Close“ ist der Name Programm. Der Film beschreibt sowohl die Intimität zweier Menschen zueinander als auch das Gefühl eingeengt zu sein und auch uns lässt er an den Innenwelten der beiden Jungen teilhaben. Wir begleiten Léos und Rémis Unbeschwertheit, wenn sie durch die flämischen Blumenfelder rennen und ihren langsam bedrückender werdenden Alltag. Selbst bei ihren tränenreichen Momenten weichen wir nicht von ihrer Seite. Mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen schafft es Lukas Dhont, die Zerbrechlichkeit ihrer intensiven Freundschaft an der Schwelle zum Erwachsenwerden zu schildern, sodass man gar angeregt wird, seinen eigenen Werdegang zu hinterfragen. Denn in dem Film geht es um so viel mehr als nur die Entfremdung zweier Menschen.
Ohne zu viel vorwegzunehmen, beschäftigt sich der Film in der zweiten Hälfte mit den sich aus der Entfremdung der beiden Jungen ergebenen Konsequenzen. Die Konfrontation mit Fragen über Sexualität, Scham, Männlichkeit und Schuld, werden bewusst in den Raum geworfen und stellen das Publikum in ihrer Bewertung vor ähnliche Schwierigkeiten wie die beiden Jungen. Die beiden jungen Laiendarsteller verkörpern ihre Rollen dabei mit einer kindlichen Authentizität, bei der man nicht das Gefühl bekommt, dass das Drehbuch von Erwachsenen stammt. Dies liegt vermutlich daran, dass Eden Dambrine und Gustav De Waele, statt Dialoge auswendig lernen zu müssen, ein Mitsprachrecht hatten, ihre eigenen Worte in den Szenen zu wählen.
Zusammenfassend schafft es der Film ein zutiefst berührendes Drama zu erzählen, welches mit seiner unangenehmen Ehrlichkeit und Nähe zum Leben zu wissen weiß, wie es das Publikum an den schönen wie auch den herzzerreißenden Momenten teilhaben lässt, an dessen Ende ein Gefühl von innerer Bedrücktheit zurückbleibt. Wer diesen Film in voller Wucht erleben will, sollte ihn auf einer großen Leinwand sehen.
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