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Erik Klüssendorf-Mediger

fließen, rot

Aktualisiert: 23. Okt.

von rocheuse collective. Ein experimenteller Text über Körperlichkeit und Wahrnehmung.



Rinnsale sprudeln mir nass aus den Brauen, fließen in die Augen und den Bauch entlang. Erstarrt, Augen zu, Luft anhalten. Nur das Tropfen stoppen. Aber der poröse Körper hört nicht, gehört mir nicht, gehört sich nicht, dann wird mir schlecht. Schau mich bloß nicht an, bis das Fließen nachlässt, bis ich zurück bin, ehrfürchtig vor den immer Trockenen mit rot anliegenden Shirts und tischtennisballgroßem Fleck wohl platziert unter den Achseln.


Hektisches Knacken aus dem Walkie-Talkie, ja, rufe ich, sind sie endlich weg? Nein, du schnaufst, komm bitte schnell zum Einlass, da sind welche auf der Weide von dem Aggro-Bullen, der Bauer ist da und macht richtig Stress. Absperrband, denke ich, dieses ganze Chaos, nichts findet man mehr, als ein Schwall aus meiner Vagina kippt. Blut rinnt mir am rechten Bein herunter, tropft aus der kurzen Hose heraus, hier, rufst du, ich drehe mich um und ein zweiter Schwall stürzt mein Bein herab. Wenn ich mir einen anderen Körper wünsche, dann einen verschlosseneren mit zierlichen Poren, die sich nur öffnen, wenn ich es will.


Es fließt, fließt, fließt – und ich fließe mit Richtung Weide. Du steckst irgendwo in dem Rot, das uns nun vollkommen umgibt. Ich entdecke eine große Rolle Absperrband, die nicht weit entfernt zwischen Zelten und Kabeln treibt. Zwei kräftige Züge und ich bin dort, schiebe mir die Rolle über den Arm, damit das Band nicht wieder verschwindet. Was ich damit vorhabe in dieser flüssigen Welt, weiß ich nicht mehr, aber der Druck an meinem Arm fühlt sich gut an, bewahrt letzte Konturen vor dem Zerfließen, während die Wiesen um uns immer weicher werden. Und mit ihnen der Bulle, der Aggro-Bauer, das Festivalgelände, du. Ich… atme ein, tief, tiefer. Aus. Und sinke hinab. In das Rot.


Hol Schwung, schnips den Arm weg, Ellbogen schlagen aus, Finger zucken, spring, dreh dich, lass mich fallen, rollen, rollen von der Zunge in den Sand, und hol wieder Schwung. Exzessive Körper strömen aus sich selbst heraus. Schäumen über, schöpfen und verschwenden, richten sich nicht gegen sich. Verschieben ihre Ränder nach Belieben, fließen, spritzen, bilden Pfützen. Wie im Tanz verwirble ich. Sand klebt an meiner Haut, in den Brauen, rieselt über meine Wangen. Ich lecke sie ab, strecke meine Zunge in den wabernden Raum, schmecke körniges Rau und Wind im glatten Haar. Mein Nacken ist nass, salzig. Der Rücken juckt, als meine Zunge ihn streift, zwei Runden legt sie sich um mich, niemand weiß mehr, wo die Zunge aufhört. Oder ist es das Absperrband, das mich umwickelt? Ein Kokon. Ich beginne zu schreien. Bebende Lungenkontur unter meiner Brust.


Von überall sprechen die Äste zu mir. Dimensionen sind geschmolzen, große dunkle Blätter wirbeln durch mich durch, ich kann ihre kleinen welligen Schnitte spüren, fühlt sich gut an und schwindelig das wabernde Grün. Exzessive Körper lassen sich nicht schließen, nicht halten in der Norm Laufen aus der Haut, rollen sich aus wie ein wässriger Teig. Und da liege ich und rolle von mir weg den Abhang hinunter. Das Gras ist trocken und borstig. Ich werde schneller, kneife die Augen zu. Die bunten Muster hinter meinen Lidern strengen mich an, aber ich traue mich nicht, sie zu öffnen, während ich rolle, nein fliege, nein tauche, bis kein Ich mehr übrig ist und jede Form vergessen scheint. Wo hört dieser Körper auf?


Plötzlich stoppt mich etwas Hartes. Stand der Schuppen nicht vorhin woanders. Aber wann ist vorhin? Und wo ist woanders? Welcher Schuppen? Das Holz ist kühl und rau an meinem Oberschenkel, meiner Hüfte, die sich langsam aus der wabernden Masse herausschälen. Die Tür stößt leicht gegen meinen Kopf, als du sie öffnest und ich stöhne kurz auf, meine Schläfe beginnt zu wummern. Wo warst du, fragst du, ich räuspere mich. Deine Hand an meinem Arm zerrt an mir, schleift mich weiter, tiefer ins Innere des sporadischen Baus. Es riecht nach Heu. Warum, denke ich, versuche meine Augen zu öffnen, doch es gelingt mir nicht. Wie eine Schnecke ziehe ich Schlieren über den Boden, matt-glänzend rot und du ziehst mich weiter, bis meine Hand zu Boden fällt, als du sie plötzlich loslässt. Das Absperrband rollt durch den Raum.



 


Über rocheuse collective (@rocheuse_collective):

rocheuse collective denkt mit foto und text über formen des flüssigen

und des exzessiven nach. in einer kollektiven schreibpraxis

experimentieren v & m mit der beziehung von sprache und körper bis sich

beides verformt. arbeiten von rocheuse collective wurden im FLUT_Magazin

für gegenwärtige Erotik und auf dem BLADE 2024 gezeigt.

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