Monacensia beleuchtet das Leben von drei Schriftstellerinnen
Vom 1.7.2022–14.01.2024 läuft die Ausstellung "Frei leben! Die Frauen der Boheme. 1890–1920" in der Monacensia im Hildebrandhaus. Wer die Ausstellung bisher nicht gesehen hat, sollte das unbedingt nachholen – es warten spannende Eindrücke ist das Leben und künstlerische Schaffen von Frauen um 1900.
von Sabrina Laue
Franziska zu Reventlow, Margarete Beutler, Emmy Hennings. Gestaltung: Tina Strobel-Rother, Laura Moosburner
„Ich will und muss einmal frei werden; es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit… Ich muss gegen alle Fesseln, alle Schranken ankämpfen, anrennen…“ – Franziska zu Reventlow, 1890.
„Die Lebensverhältnisse aber sind es, die die Gesundheit schädigen und die Auffassung des Mannes bestimmt hier das Schicksal der Frau.“ – Emmy Hennings, Das Brandmal, ersch. 1920.
Reventlow und Hennings schreiben zu einer Zeit, in der das Leben von Frauen geprägt ist von rechtlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen, Verboten und Zwängen. In vielen Bereichen ihres Lebens sind Frauen in der Kaiserzeit gegenüber Männern benachteiligt, ein selbständiges unabhängiges Dasein ist fast unmöglich.
Franziska zu Reventlow (1871–1918), Margarete Beutler (1876–1949) und Emmy Hennings (1885–1948) – alles Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, die im München der Kaiserzeit trotz finanzieller Nöte und sozialer wie rechtlicher Hindernisse künstlerisch wirken. In ihren Texten fordern die Frauen der Boheme immer wieder eines: Freiheit. Sie wehren sich darin gegen zahlreiche Benachteiligungen und Probleme, unter denen Frauen in der Gesellschaft des Kaiserreichs zu leiden haben und die sie selbst erleben.
Die Ausstellung der Monacensia zeichnet das persönliche und literarische Leben von Reventlow, Beutler und Hennings nach und widmet sich dabei mehrerer Themenschwerpunkte, die ihre individuellen Schicksale, gleichzeitig aber auch allgemein das Leben der Frauen im Kaiserreich ausmachten und bewegten: Prostitution, Freiere Formen des Zusammenlebens, Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigenen Sexualität, Unabhängigkeit und „freie Mutterschaft“ sind nur einige der Themen, die die Frauen der Boheme in ihren Lebensentwürfen und Texten beschäftigten. Mit ihrem Schreiben, mit ihrer Kunst prägten die Künstlerinnen die Subkultur der Boheme zwischen München, Berlin und Zürich. Sie begehrten gegen die bürgerlichen Wert- und Moralvorstellungen auf, die ihre Zeit dominierten und Frauen rechtliche und gesellschaftlich benachteiligten.
„Alles, was Macht hat, ist Zuhälter.“ (Emmy Hennings, Das Brandmal, S. 125)
In Das Brandmal erzählt Emmy Hennings die Geschichte der jungen Dagny und gleichzeitig ihre eigene: In dem Roman verarbeitet sie ihre Zeit als Prostituierte, eine Erfahrung, die ihr zum Brandmal wird.
Finanzielle Not ist der Hauptgrund, der Frauen dazu bringt, sich zu prostituieren, denn finanzielle Unabhängigkeit bleibt vielen Frauen um 1900 verwehrt. Ein Studium und viele Berufsfelder sind Frauen nicht erlaubt. In Hennings Das Brandmal verschafft Geld den Menschen eine gottgleiche Stellung, es bestimmt über Leben und Tod:
„Er hat doch auch meine Rechnung bezahlt. Mir das Leben geschenkt.“ (DB, S. 26)
Doch Prostitution ist 1900 als „gewerbliche Unzucht“ illegal – ein großes Risiko für viele Frauen, die immer Gefahr laufen, verhaftet zu werden oder ihr Geld nicht zu erhalten, ohne dagegen vorgehen zu können. Bestraft werden in der Regel die Prostituierten oder Zuhälter, nie die Freier. Von ihrem Partner Ferdinand Hardekopf wird Hennings gezwungen, sich zu prostituieren.
„Ich nehme nicht. Ich lasse mich nehmen. Ich bin ein Freiwild. Und wem es gelingt, der fängt mich.“ (DB, S. 126)
„Ich bin … nicht für eine Dauerehe geschaffen“ (Margarete Beutler, Selbstbiografie, 1903)
Die Rolle der Frau als Mutter war – und ist teilweise immer noch – für die Gesellschaft nicht verhandelbar. In der Kaiserzeit ist die klassische Rollenverteilung streng vorgegeben, genauso herrschen klare Vorstellungen von Kindererziehung. Auch hier sind Frauen abhängig von ihren Ehemännern und dürfen nicht eigenständig entscheiden. Die Frauen der Boheme fordern das Recht auf persönliche und sexuelle Entfaltung, wollen sich nicht mehr in Ehen drängen lassen und als Mutter mehr Rechte haben. Sie vertreten zudem neue Konzepte von Beziehung und Mutterschaft. Franziska zu Reventlow zieht ihren Sohn Rolf alleine groß – und will den Namen des Vaters nie nennen, sie will ganz für ihr Kind da sein. Auch Margarete Beutler wendet sich gegen die konventionellen Formen des Zusammenlebens zugunsten einer „reine[n], freie[n] Liebe“ und “Lebenskameradschaft”, jenseits der „Dauerehe“.
„Krank lieg ich im weißen Zimmer“ (Emmy Hennings, Im Krankenhause, ca. 1913)
Um 1900 orientiert sich das medizinische Wissen am Mann – dafür, dass Frauen eigene spezifische Bedürfnisse haben bildet sich nur langsam ein Bewusstsein heraus. Frauen werden deshalb oft falsch behandelt, zu Frauengesundheit, Verhütung und Schwangerschaft, vor allem auch Schwangerschaftsabbruch, mangelt es an Wissen und Aufklärung. Franziska zu Reventlow und Emmy Hennings leiden beiden unter der falschen Behandlung ihrer Krankheiten. Über die Verzweiflung und Einsamkeit ihrer Situation schreibt Hennings in Im Krankenhause:
„Und jetzt lieg ich ganz verlassen / In dem stillen weißen Raum. O, ihr Schwestern von den Gassen, / kommt zu mir des Nachts im / Traum!“.
Abtreibungen sind seit 1871 verboten, an Verhütungsmittel kommt man nur schwer und illegalerweise. Obgleich die Frauen der Boheme sexuelle Freiheit fordern, sind es auch immer die Frauen die mit den Folgen allein gelassen werden. Die Frauen wollen selbst entscheiden, ob und wann sie schwanger werden und kämpfen für Legalisierung von Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbrüchen.
Die Ausstellung “Frei leben!” verwebt die Geschichte dieser drei Frauen, ihrer Literatur und der damaligen Lebenswelt. Ansprechend gestaltet bilden vor allem auch die Video-Installationen zu den Texten eine Brücke zwischen dem Leben und Schaffen von Reventlow, Beutler und Hennnings und heute. Beeindruckend zeigt sie, wie die gesellschaftlichen und rechtlichen Strukturen im Kaiserreich das Leben von Frauen einschränkte, und wie diese trotz allem versuchten, über ihre Leben zu bestimmen.
Anhand zahlreicher biografischer Dokumente, Manuskripte, Tagebücher, Briefe und Fotografien bietet die Ausstellung Einblick in das Leben dreier besonderer und einzigartiger Frauen, die aufgrund der sozioökonomischen und politischen Umstände ihrer Zeit alle für dasselbe kämpften: Freiheit.
Mehr spannende Artikel zum Thema gibt es im Online-Magazin der Monacensia.
Informationen zur Ausstellung
Dauer: 1.7.2022–14.1.2024
Ort: Monacensia im Hildebrandhaus, Maria-Theresia-Straße 23, 81675 München
Öffnungszeiten: Mo - Mi, Fr 9.30 - 17.30 Uhr, Do 12.00 - 19.00 Uhr, Sa, So und an Feiertagen geschlossen. Ausstellungen auch Sa, So 11.00 - 18.00 Uhr; Do 12.00 - 22.00 Uhr geöffnet.
Projektleitung: Anke Buettner, Leiterin der Monacensia
Gesamtkonzeption: Sylvia Schütz, Kuratorin Monacensia
Kuratorin: Laura Mokrohs
Gestaltung & Realisation: Büro Alba, München
Filme: Münchner Kammerspiele, Annette Paulmann
Heutige Stimmen: Tina Rausch
Digitale Vermittlung: Tanja Praske, Kultur-Museum-Talk
Archivberatung: Thomas Schütte, Monacensia
Bibliotheksberatung: Christine Hannig, Monacensia
Lektorat: Sylvi Schlichter, Monacensia
Rechte: Jonas Menzel, Monacensia
Support Scans & Digitalisierung: Stephan Anders, Monacensia
Ausstellungstechnik: Wolfgang Schredl, Monacensia
Bibliografie
Emmy Hennings, Im Krankenhause, Manuskript „Ätherstrophen“, ca. 1913. Münchner Stadtbibliothek/Monacensia, L 507, S. 8.
––– [1920] 2017. Das Brandmal. Berlin: Erich Reiß Verlag.
Die verwendeten Quellen wurden freundlicherweise bereitgestellt von der Münchner Stadtbibliothek, Monacensia im Hildebrandhaus.
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