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Erik Klüssendorf-Mediger

Herzensstücke

von Sarah Rinkl. Ein Text, der über Verlust und die Vergänglichkeit materieller Erinnerungen reflektiert.



Wie hypnotisiert beobachtete sie die Regentropfen, wie sie die dichte, graue Wolkendecke über ihrem Kopf hinter sich ließen, zur Erde sausten und auf dem Haufen aus Gegenständen auftrafen, in dem sie saß.


Drei Tage. Drei Tage nichts als dieser undurchsichtige Vorhang aus Tropfen, die sich zusammengeschlossen und den Fluss gefüttert hatten, bis er über seine Ufer getreten war. Wie auf einem Feldzug hatte er die umliegenden Wiesen erobert, alles verschluckt, was unter ihm gelegen hatte und sich einen Weg in die Keller der Häuser gebahnt. Dort hatte er überall genagt, an Wänden, Möbeln, Herzensstücken. Und die Chancen standen schlecht, dass der immerwährende Strom aus dem Himmel zeitnah versiegen würde.


Sie strich sich die Haare aus der Stirn, die dort vor Feuchtigkeit klebten, zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und gab sich einen Ruck. Sie griff in die unförmige, in schmutzigem Bunt gefleckte Masse an Dingen, die sie umgab und zog den erstbesten Gegenstand heraus, den ihre Finger zu fassen bekamen. Ein triefendes, rechteckiges Etwas. Sein Umschlag hatte wohl einmal aus gelber Pappe bestanden, die jedoch nun von grün-braunen Schlieren überzogen war. Als sie die Buchdeckel aufklappte, fielen einzelne Fotos heraus. Sie hob sie auf. Weich, nass und biegsam fühlten sie sich an. Schemenhaft waren Menschen darauf zu erkennen. Waren das ihre Eltern? Ihre Geschwister? Sie selbst? Hatte sie das Foto überhaupt jemals zuvor gesehen? Fest stand, dass sie es nun zumindest nie wieder würde sehen können.


Sie stand auf und ging zu dem riesigen, gelben Container, der wie ein Schiff mitten im Garten auf dem Rasen stand und die Gänseblümchen platt drückte. Nachdem sie die Stufen erklommen hatte, blickte sie über den Rand. Im Inneren des Containers stapelten sich die aufgeweichten Bretter mehrerer Regale, Bücher mit gewellten Seiten und auseinanderfallenden Buchdeckeln, Geschirr, Teile einer Stereoanlage, DVDs, CDs und allerlei Einzelteile, die sich nicht mehr identifizieren ließen.


Es waren Dinge ohne Erinnerungen, Dinge, bei denen sie nicht gemerkt hätte, wären sie von einem auf den anderen Tag verschwunden.

Als sie das Album in ihren Händen erneut betrachtete, spürte sie einen Stich. Sie zögerte, es in das Meer aus vergessenen Sachen zu werfen. Stattdessen ließ sie es vorsichtig an der Innenseite der Containerwand herabrutschen. Bevor es unten aufschlug, drehte sie sich um und stieg die Stufen hinab.


Unten angekommen stützte sie die Hände in die Seiten. Sie wollte einen Schritt nach vorne machen, doch es fühlte sich an, als steckten ihre Füße in Zement. Was, wenn sie noch mehr Dinge inmitten des Stapels entdecken würde, an deren Existenz sie lieber nicht erinnert worden wäre?

Sie blickte hinauf in die Wolken und streckte die Hände aus. Der Regen hatte aufgehört. Ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. Das erste seit drei Tagen.



 


Über Sarah Rinkl (@mit_sarah_schreiben)

Wenn ich nicht gerade in einer sprachtherapeutischen Praxis in München arbeite, verbringe ich meine Zeit damit, Prosa und Lyrik zu schreiben oder meine Texte vorzutragen. Zuletzt durfte ich dies bei der Veranstaltung "Europa im Original" im Institut francais tun.

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