von Conny. Ein auf humorvolle Weise beschriebener Text über die irrationale Natur der Angst und ihre allgegenwärtigen Auswirkungen auf das tägliche Leben.
Ein kribbeliges Gefühl in der Magengegend, ganz tief drin wartet es hervorzuspringen, wie eine Figur mit einer hässlichen Fratze auf einer Feder in einer Holzkiste, die dann, sobald der Deckel aufspringt, ironischerweise irgendein unpassendes fröhliches Geräusch von sich gibt.
Plopp. Da ist es. Das überflüssige Gefühl. Zieht sich durch meine Arme bis zu den Fingerspitzen, die Hände werden kalt und trotzdem schweißig und ich werde fahrig und atme schneller und bin nicht mehr wirklich bei mir.
Plopp. Da ist sie. Nicht die Liebe, nicht die Zusage für die Traumwohnung in der Münchner Innenstadt, nicht der Urlaub auf Hawaii, nicht die Weltherrschaft. Da ist sie, die Angst.
Ich wär gern mutig. Eine unerschrockene Abenteurerin. Eine, die etwas wagt. Die dumme Dinge tut, die wie durch Zauberhand trotzdem gelingen. Aber plopp, die Angst kommt immer unpassend. Wie ein Wasserschaden in der frisch renovierten Wohnung. Oder ein unangemeldeter Gast, der nicht lange wartet, bis man ihn hinein bittet, sondern sich einfach setzt und dann dort kleben bleibt, wie ein Kaugummi unter dem Tisch. Der Kuchen will und einen Kaffee, obwohl man den Herd noch nicht mal angeschlossen hat. Oder wie der niedliche Welpe, der auf den weißen Teppich kackt, was dann bestialisch stinkt, während er einen schuldbewusst anschaut und man nicht weiß, wie man eigentlich pädagogisch wertvoll reagieren soll.
Ich hab vor vielen Dingen Angst. Angst vor Aufzügen zum Beispiel. Aber nicht, dass sie stecken bleiben. Nein, ich habe so wahnsinnig viel Fantasie mitbekommen, dass ich mir sehr realistisch vorstellen kann, wie mir meine Organe förmlich am Kinn kleben, weil der Aufzug in die Tiefe rast. Zack, Matsch, tot. Oder selbst wenn ich diese halsbrecherische Aufzugfahrt überleben sollte und er „nur“ stecken bleibt: funktioniert der Notfallknopf wirklich oder ist der nur eine Attrappe? Und kommt da auch jemand und befreit mich? Auch am Wochenende? Was ist, wenn ich dringend aufs Klo muss. Hm. Vielleicht doch lieber Abstürzen, geht schneller.
Oder Angst vor Menschen in Ganzkörper-Plüschkostümen, deren Gesicht man nicht sehen kann. Oder auch immer wieder schön: Angst, keinen Parkplatz zu finden.
Ich bin die Angst. Ich hab zwar keine Angst vorm Fliegen, aber Angst in der Sicherheitskontrolle von meinem reiseerfahrenen Partner getrennt zu werden und durch eine Reihe unglaublicher Missverständnisse gekoppelt mit Sprachbarrieren in einem – zum Beispiel – vietnamesischen Gefängnis zu landen bei trocken Brot und Wasser oder noch schlimmer – irgendwas Scharfem – und ich vertrage scharfes Essen wirklich gar nicht. Niemand weiß, wo ich bin, weil sie mir mein Handy abgenommen haben und die Telefonanlage kaputt ist, aber selbst wenn sie ginge, könnte ich niemanden anrufen, weil ich die ganzen Handynummern nicht auswendig kann. Und Briefe kann ich auch nicht schreiben, weil der vietnamesischen Gefängnisbehörde das Porto nach Deutschland zu teuer ist. Und auf die deutsche Botschaft wär auch kein Verlass, denn die haben sicher genauso schlimmen Personalmangel wie die Gastronomie oder die Schulen. Da ist man ja fast froh, wenn jemand krank ist oder fehlt und wägt ab, wen man rettet und ob überhaupt. Da sitz ich dann in meiner vietnamesischen Einzelzelle, die Kakerlaken scharen sich dank des feuchten Klimas um mich und warte auf den Tod. Plopp.
Damals, als es noch Säbelzahntiger gab, ja da wär ich Überlebenskünstlerin gewesen. Aber die Angst – plopp – die warnt mich nicht vorm Säbelzahntiger an der nächsten Kreuzung. Oder vor giftigem Essen. Oder anderen realistischen Gefahren. Nein. Meine Angst sagt stattdessen: Conny, pass auf, da ist ein Mensch auf einem Volksfest, der ein niedliches Teddybären-Ganzkörper-Plüschkostüm trägt – lauf solange du noch kannst. Du weißt ja nicht, was dieser Mensch im Schilde führt und du kannst seine Augen nicht sehen und am Ende ist es gar kein Kostüm, sondern es gibt wirklich lebendige Teddybären – eine Vorstellung, bei der blanke Angst nun wirklich berechtigt wäre.
Aber Angst hat auch Vorteile. Außer Überleben. Ich bin unheimlich kreativ. Ich habe Angst, die Fenster meines Kleinwagens nicht geschlossen zu haben. Sage das aber natürlich nicht – wie würde das denn klingen? Nein, ich verpacke es in einen Spaziergang, der natürlich nur gaaaaanz zufällig an meinem Kleinwagen vorbeiführt. Ich finde ein bestimmtes Produkt im Supermarkt nicht? Ich könnte das Personal fragen, aber dann würde ich meine 10.000 Schritte nicht vollbekommen und müsste meine durchaus manchmal vorhandene soziale Inkompetenz überspielen und mein Unwohlsein überwinden – also irre ich ewig durch die Gänge und bleibe lieber 2h in einem stickigen Supermarktregal, als über meinen Schatten zu springen. Plopp, die Angst macht wenigstens, dass sich der Bewegungsring meiner Apple Watch füllt.
Aber was wäre, wenn… wenn ich nicht mit dem Aufzug in die Tiefe stürze und am Boden zerschelle, sondern wie normale Menschen im Zweifel einfach nur stecken bliebe und zeitnah befreit werden würde. Wenn ich nicht 2h eher losfahre um einen Parkplatz zu finden um dann an einem vollkommen leeren Parkplatz anzukommen und mir zum wiederholten Male an den Kopf zu greifen. Was wäre, wenn der Mensch im Ganzkörper-Plüschkostüm kein Wolf im Schafspelz ist, sondern ein Student, der keinen Bock mehr auf Toast und Pfefferminztee hat und sich einfach nur sein BAföG aufbessern will?
Was wäre, mein Leben ohne die überflüssige Angst?
Über Conny:
Schreiben ist für mich ein reines Hobby - mal mehr, mal weniger gut gepflegt -, das den Alltag ein wenig in den Hintergrund rücken lässt. Ich lebe und arbeite in München.
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