von Katharina Wulkow
Maria aus dem Supermercado an der Ecke hat es mir schon bei meinem ersten Besuch erzählt. Dass sie nur dort sitzen, wenn die Jacarandas blühen. Sobald die lila Blätter von den Ästen fallen und die Pflastersteine einfärben, bleibe die Bank leer, sagt Maria. Ihnen sei es dann zu heiß und sie wechseln an einen Ort, der im Schatten liege. Wo der ist, weiß Maria nicht, sie kann bloß vermuten.
Vier Frauen, aufgereiht wie an einer Perlenkette. Morgen für Morgen kommen sie zusammen, am Rande des kleinen Platzes gegenüber von meinem Haus. Ich sage mein Haus, so als wäre es ein Zuhause und vielleicht ist es das, zumindest ein bisschen.
Jeden Tag wecken mich die vier mit ihren kraftvollen Stimmen, die ich Stück für Stück gelernt habe zu unterscheiden. Sie kriechen über den Platz, die Hauswand hinauf, bahnen sich den Weg durch die Balkonstreben in mein Schlafzimmer. Ich lasse sie ums Bett kreisen, lausche mit geschlossenen Augen. Irgendwann stehe ich auf und gehe mit einem Kaffee hinaus auf den Balkon.
Manchmal sehen sie mich nicht gleich, weil sie so sehr in ihren Gesprächen verfangen sind. Ich betrachte sie, eine nach der anderen. Zwei von ihnen haben weiße Haare, in Dauerwelle frisiert und zum Dutt geschlungen. Die anderen beiden tragen das dunkle Haar über die Schulter geflochten. Von all ihren Worten verstehe ich nur Fetzen, aber bei jedem "escucha me" oder "oye querida, no me digas" scheint die Sonne ein wenig wärmer.
Ich trinke meinen Kaffee aus, ziehe mich um und packe ein paar Sachen. Die Stufen des alten Treppenhauses ächzen unter meinen Schritten, die Haustür schlägt mit einem dumpfen Knall ins Schloss.
Sie blicken zu mir hinüber, alle vier. Ihre Augen sagen - wer bist du, dich haben wir hier noch nie gesehen, sag gefälligst etwas, wenn du uns schon unterbrichst -, also winke ich und rufe "Buenas días". Zwei nicken mir zu, eine greift nach der Gehhilfe neben der Bank, so als wollte sie sich zum Gruß erheben, die Frau ganz rechts lächelt und ruft zurück: "Buenas, guapísima". Wie auf ihr Stichwort wenden sie sich wieder einander zu und fast ist es, als hätte ich in ihrer Welt nie existiert.
Während ich mittags mit dem Rad durch die gelbgrünblaue Lagune von Albufera fahre, die Wege entlang fliege und mir der Wind das Haar verzwirbelt, Vögel im Himmel kreisen und ich versuche, sie abzuschütteln, die Erwartungen, die den Dingen manchmal eine solche Schwere verleihen, höre ich noch immer ihre tiefdunkle Stimme "guapísima" sagen.
In diesem Moment, inmitten von Schilf und glitzerndem Wasser, unter Flamingoschwärmen am Himmel und kaum greifbarer Weite zu allen Seiten, wiegt das kleine Wort der Fremden viele der Wörter auf, die über die Jahre zu mir gesagt worden sind, die mich haben beschreiben, mir schmeicheln oder mich verletzen sollen, sich aber anfühlten, als gälten sie einer anderen. Die Frau hätte mich auch stark oder schwach, laut oder schüchtern nennen können, es geht nicht um das Wort schön, sondern darum, wie sie es gesagt hat.
Als hätte sie hingesehen.
Als gäbe es da eine Verbindung zwischen uns, eine Kraft, dunkles Orange, eine Energie, die älter ist als wir alle zusammen, die
so viel aufwiegt, die
so viel mehr ist als vieles.
Bei meiner Rückkehr am frühen Abend steht die Bank leer. Ob es eine Art unausgesprochenes Abkommen gibt, das diesen Ort allein für die Frauen reserviert? Eine Art Schwingung, welche die Passanten zum weitergehen bewegt?
Ich hole ein Glas aus der Wohnung, fülle es mit Portwein und setze mich auf ihren Platz. warmes Holz unter meinem Körper, sanft beleuchtete Häuserfassaden um mich herum. Wenn es ein Abkommen gibt, gilt es nicht mir.
Ich wüsste gerne, wie lange sich die vier schon kennen und woher, was sie über die Menschen denken, über die Welt und über mich. Welches Bild haben sie von mir, wenn sie hier verweilen und mich dort sehen, auf dem Balkon gegenüber?
Ich wüsste gerne, welche Dinge sie zornig machen und warum. Teilen sie meine Wut, die Glut, die in uns allen schwelt, uns Frauen?
Am nächsten Morgen sind sie wieder da, diskutieren inbrünstig über etwas, das ich nicht verstehe. Sonnenstrahlen brechen sich Bahn durch die Schlitze der Jalousien, malen Muster an Zimmerwände. Ich bleibe liegen, ganz still, treibe umher zwischen den Sätzen der vier Frauen, ihrem Fluchen und Lachen, und lasse mich einlullen von Worten, die nicht meine sind und irgendwie doch. Ich zögere ihn hinaus, den Moment, in dem ich das Haus verlasse, die Tür schwer ins Schloss fällt und sie mir die Köpfe zuwenden. Den Moment, in dem ich erfahre, welches Wort sie heute für mich ausgesucht haben.
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